Kolumne
Wir mögen Bücher und Papier, deswegen gibt es unser Programm auch als Heft. Und in jedem Heft gibt es ein Editorial der Literaturhausleiterin Kathrin Dittmer. Das wollen wir auch online niemandem vorenthalten!
Alterskorrektur
Die Geschichte der Bremer Stadtmusikanten zählt zu den beliebtesten Märchen der Grimms, international. Die alten Tiere, die keiner mehr braucht, sind willensstark, irgendwie lustig, aber auch ein bisschen dumm wegen ihrer Karrierevorstellungen. Zum Glück finden sie schon auf dem Weg in die Hansestadt ein prima Haus mit endlosen Essensvorräten und Schätzen, die sie moralisch einwandfrei erbeuten dürfen, weil es Raubgut war. Eine super Rente nach so viel Schufterei! Und das ganz ohne Vorsorgeleistung.
Einzige Frau in der Riege ist die Katze. Sie kann keine Mäuse mehr fangen: Zahnprobleme. Vielleicht ist aber auch das Fell ein wenig stumpfer im Glanz und die Krallen müssen vorsichtig mit der Schere gestutzt werden? Vermutlich ahnte die Katze, dass das hohe Alter als Nutztier ein Problem werden könnte, aber schaute sie schon beizeiten kritisch in den Spiegel, um die „sieben Zeichen“ der Fellalterung rechtzeitig zu entdecken? Wie viele Mäuse würde sie auf den Tisch legen, um dem mit entsprechenden Mittelchen entgegenzuwirken? Sie täte gut daran, in ihr Äußeres zu investieren. Es ist kein Übertreibung zu behaupten, dass Frauen selbst am meisten bestrebt sind, ihr Altern zu verbergen, aber eine aktuelle Studie zur Altersdiskriminierung zeigt auch, dass sie leider gute Gründe dafür haben.
Die schlaue Katze könnte nun gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und sich eine Führungsposition in der Kosmetikindustrie suchen, dann hätte sie ausgesorgt. Trotz Krise gab es 2022 allein in Deutschland 16 % mehr Umsatz für Mittel zur Schönheitspflege – ohnehin ein Milliardengeschäft. An sich ja nicht verkehrt, dass alle sauber und gepflegt sein wollen, aber leider eben doch etwas dumm, das Karriereziel. Zwar werden hierzulande auch fitte Schiedsrichter schon mit 47 gefeuert mit der inoffiziellen aber nachweislichen Begründung, sie seien zu alt, aber als Frau hast du eigentlich nie das richtige Alter für Führungspositionen. Auch das ist nun wissenschaftlich belegt: Erst zu jung, dann zu familienorientiert, dann zu alt.
Auch in der Kultur ist das so. Bis 35 giltst du als Nachwuchs, danach wird dir ungefähr sieben Jahre lang – egal was eigentlich Thema war und was du dazu beigetragen hast – gesagt, dass du „aber jünger aussiehst“, dann kommt die Phase, in der du einfach zu dominant bist, und ab 57 wirst du gefragt, ob du bald in Rente gehst. Das geht knapp vier Jahre so, dann kommt die Rolle als überfälliges Nutztier. Für Männer kommt die auch, aber erst später. Die sind mehr so die mit dem coolen Dreitagebart, der die schwindende Kinnlinie so schön kaschiert. Aber ab 70 geht es dann auch für Esel, Hund und Hahn bergab.
Der Kanzler appelliert an die Fachkräfte, lange zu arbeiten, die Rente beginnt jetzt mit 67. Und trotzdem versuchen viele, vorher in selbige zu gehen, nicht weil sie alle fett Beute gemacht haben, um sich als silbermähnige Best Ager unendlichen Spaß zu gönnen, sondern, weil sie die Altersverachtung nicht mehr ertragen. Das ist jetzt auch offiziell. Die Beauftragte der Bundesregierung hat es festgestellt und will Artikel 3 des Grundgesetzes ändern und den Begriff „Lebensalter“ für die Gleichbehandlung aufnehmen. „Kikeriki! ... und oben auf dem Dache, da sitzt der Richter, der rief, bringt mir den Schelm her!“
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Im Buchhandel erhältlich:
Hasenrein eingemiezelt
Kolumnen von Kathrin Dittmer.
Für alle, die wissen wollen, warum das Gehirn die eigentliche Problemzone ist, was Weltanschauungen und Küchenmaschinen gemeinsam haben und ob Molly der Hund tatsächlich Flöte spielen konnte.
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