Kolumne
Wir mögen Bücher und Papier, deswegen gibt es unser Programm auch als Heft. Und in jedem Heft gibt es ein Editorial der Literaturhausleiterin Kathrin Dittmer. Das wollen wir auch online niemandem vorenthalten!
Anständig sprechen – Für die Demokratie III –
Wo, wenn nicht in einem Literaturhaus, sollte man erwarten können, dass auf Sprache geachtet wird. Unser Programm ist auch voll davon! Doch persönlich kochen wir auch nur mit Wasser und das ein oder andere Mal unterläuft mir schriftlich, und erst recht mündlich, der ein oder andere Lapsus.
Für Kritiker:innen meines Sprachvermögens möchte ich hier autobiografisch anmerken, dass mir schon meine Deutschlehrerin in der grauen Vorzeit meines Oberstufen-Gymnasiallebens immer einen Punkt Abzug in der B-Note gab, weil ich mich ihrer Ansicht nach mündlich nicht gewählt genug ausdrückte. Das führte natürlich dazu, dass ich erst recht alltagssprachlich loslegte, weil ich sie zurückärgern wollte und außerdem schon vorhatte, wie weiland Arnold Hau, den das Trio Bernstein-Gernhardt-Waechter erfunden hat, mein Abitur mit der Note „erstaunlich“ abzulegen. Es kratzte mich also null, um im Jargon zu bleiben, dass meine Deutschlehrerin einen Anfall von Klassismus an mir auslebte. Klassismus – ein Wort, das es damals noch nicht gab, und ich bin nicht sicher, ob ich es vermisst habe. – Ich fand mich sehr cool und habe also nur so etwas wie „Aha“ oder „Hmhm“ gesagt, wenn sie vor der ganzen Klasse erläuterte, warum ich den Punktabzug bekam. Wegen dem bisschen Gemecker, ein Fass aufzumachen, war unter meiner Würde. Ich sprach so, wie ich sprechen wollte. Aber es war mir aus einem bestimmten Grund wirklich mehr als egal, was sie von mir hielt. Sie mochte nämlich Heinrich Heine nicht und war deswegen bei mir untendurch – mehr als ich es bei ihr je hätte sein können.
Ich arbeitete mich also jenseits ihres Kriterienkatalogs durch für mich relevante Literatur und schaffte es trotzdem oder gerade deswegen unter die besten Zehn im Abi-Jahrgang und dass obwohl ich in Physik voll abgeschmiert war, um es mal vornehm auszudrücken. Aber Platzierungen sind immer relativ: Wir waren auch nur knapp Hundert und niemand muss mich damals oder jetzt für eine Überfliegerin halten.
Ein Buch, das ich zur Schulzeit leider noch nicht kannte, war LTI von Victor Klemperer. Das sollte man spätestens jetzt lesen, habe ich festgestellt. Es hilft ungemein, sich gegen echte Spracharmut und die Sprache der Rechtspopulist:innen zu wehren. Und zeigt, dass wir uns hüten müssen, Begriffe zu übernehmen, die von diesen geprägt oder wieder hervorgeholt werden. Ein Buch für alle, auch alle Biedermänner und Brandstifter, das vielleicht in allen deutschen Parlamenten kostenlos ausliegen sollte und auch in allen Medienanstalten. Vielleicht hören wir dann auf, jede große Herausforderung als Krise zu bezeichnen, hören wieder auf von Volk zu reden, Menschenfreunde abwertend Gutmenschen zu nennen und immerzu irgendwelche Ereignisse als „historisch“ zu markieren, um uns aufzuplustern. Das wäre schön.
Ob es uns traurig oder glücklich stimmen soll, dass wir in Büchern, die mehrere Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte alt sind, Antworten auf Fragen finden, die sich jetzt stellen? Ich denke, es ist in jedem Fall ein Plädoyer für das Lesen und anständiges Sprechen.
Neben Klemperer könnte natürlich auch besagter Lieblingsdichter aller Ironikerinnen und Spätromantiker, Heinrich Heine, in den Parlamenten ausliegen. Oder
man setzt gleich unter den Schriftzug am Bundestag, der „Dem Deutschen Volke“ lautet, Heines schöne Erkenntnis aus der Vorrede zum ersten Band des Salon, die ihm beim Anblick des Elends deutscher Armuts-Auswanderer kam: „Deutschland, das sind wir selber.“
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Im Buchhandel erhältlich:
Hasenrein eingemiezelt
Kolumnen von Kathrin Dittmer.
Für alle, die wissen wollen, warum das Gehirn die eigentliche Problemzone ist, was Weltanschauungen und Küchenmaschinen gemeinsam haben und ob Molly der Hund tatsächlich Flöte spielen konnte.
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