Kolumne

Wir mögen Bücher und Papier, deswegen gibt es unser Programm auch als Heft. Und in jedem Heft gibt es ein Editorial der Literaturhausleiterin Kathrin Dittmer. Das wollen wir auch online niemandem vorenthalten!

Editorial Mai | Juni 2022

Die Freiheit des Wortes

Schon seit mehr als 20 Jahren gibt es das Hannah-Arendt-Stipendium. Eingerichtet hat es die Stadt Hannover, begründet haben wir es gemeinsam mit dem Kulturbüro und der Unterstützung vieler. Die Begleitung der Stipendiat*innen und die Organisation liegt seitdem bei uns, dem Literaturhaus. Es ist ein Stipendium für Autor*innen, die in ihren Ländern verfolgt werden. Sei es, dass ihre Regierung sie mit allen Mitteln zum Schweigen bringen will, sei es, dass diese Regierung sie nicht schützen kann oder will, wenn fundamentalistische Gruppen ihnen nachstellen.

Unser erster Stipendiat war der weißrussische Dichter Ales Rasanau. Er kam 2001 nach Hannover. Schon damals gab es einen Autokraten namens Lukaschenko, der Rasanau verboten hatte, zu veröffentlichen, später folgte ein Arbeitsverbot. Nicht wegen seiner Lyrik, sondern weil er eine Zeitschrift herausgab, im PEN engagiert war und eine eigene Meinung hatte. Er war Lehrer, dann Übersetzer, später war er ab und zu als Gehilfe eines Friedhofsgärtners illegal beschäftigt. Seit Ales Rasanau bei uns war, hat er abwechselnd in Minsk, Österreich und Deutschland gelebt. Ein ständiges Katz-und-Maus-Spiel. Er stand weiter unter Beobachtung, doch seine Kontakte in diesen Ländern gaben ihm die Möglichkeit, zu reisen und hier zu veröffentlichen. Er war einer der besten Dichter seiner Sprache. Im August 2021 ist Ales Rasanau im Alter von 74 Jahren in Minsk gestorben. Es ist zermürbend und ungesund, ein Leben unter der Zensur zu führen. Viele Tausend Künstler*innen und Journalist*innen leben so. Nur ein Drittel aller jetzt existierenden Staaten gewähren die Freiheit des Wortes, ein weiteres Drittel schränkt sie ein, das letzte Drittel hat gar keine.

Die Methoden der Einschüchterung sind vielfältig. Carlos Aguilera hatte sich in Kuba noch frei bewegt, doch als er sich 2003 öffentlich zur Verhaftung von 75 Dissident*innen kritisch äußerte, verlor er seine Heimat. Zufällig war er damals in Spanien. Seitdem lässt sein Land ihn nicht mehr einreisen. So kommt es, dass man mit nur einem Koffer in der Hand beginnt, auf den Tod von jemandem zu warten. Fidel Castro war alt, es musste doch mal enden? Nur gelacht hat unser Gast aus Simbabwe, wenn ich ihn fragte: „Wie alt ist Mugabe jetzt? 90?“ – „Mugabes Mutter“, sagte Christopher Mlalazi dann grinsend, „ist 120 Jahre alt geworden. Er schrumpft zwar, aber er stirbt nicht.“ Doch, er ist gestorben. Aber der Clan nicht. Ein Diktator steht selten alleine. Chris lebt heute in Mexiko-Stadt. Ein anderer Gast, ein Kurde aus Syrien, musste dringend operiert werden. Im Gefängnis hatte man ihn so geschlagen, dass seine Bandscheiben verletzt waren. Dennoch litt er darunter, im sicheren Ausland zu sein, während andere weiter der Verfolgung ausgesetzt waren.

Auch der bekannte russische Schriftsteller Vladimir Sorokin war eine Zeit bei uns. Die „Putin-Jugend“ belagerte monatelang seine Wohnung in Moskau, warf seine Bücher öffentlichkeitswirksam in eine eigens mitgebrachte Mülltonne, bedrängte und belästigte seine Familie. Die Polizei half nicht. Erst als er ein paar Monate abtauchte, ließ das Interesse der selbsternannten Moral- und Staatswächter nach. Schon seit Jahren verzeichnen wir immer mehr Stipendiengesuche aus Russland.

Das Recht auf freie Rede, frei zugängliche Information – und ja, tatsächlich auch auf Teilhabe an der Kultur – ist nicht nur in den Verfassungen unserer Länder und der Republik eingeschrieben, sondern ein Menschenrecht. Viele wissen das gar nicht.

So ein Stipendium wirkt nur wie der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Es ist eine Auszeit zum Atemholen und vielleicht für neue Perspektiven. Aber es ist einfach besser, es anzubieten, als es zu lassen. Und wir leben schließlich von der Literatur und dem Freien Wort. Gäbe es das nicht, gäbe es auch keine Literaturhäuser. Zum Glück sind wir nicht alleine, sondern im Städtenetzwerk ICORN, das in Stavanger sitzt und mit PEN International verbunden ist. Ich erinnere mich gut an die Gründungsversammlung. Wir waren höchstens zehn Leute. Heute sind wir Hunderte.

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Im Buchhandel erhältlich:

Hasenrein eingemiezelt
Kolumnen von Kathrin Dittmer.
Für alle, die wissen wollen, warum das Gehirn die eigentliche Problemzone ist, was Weltanschauungen und Küchenmaschinen gemeinsam haben und ob Molly der Hund tatsächlich Flöte spielen konnte.
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