Kolumne
Wir mögen Bücher und Papier, deswegen gibt es unser Programm auch als Heft. Und in jedem Heft gibt es ein Editorial der Literaturhausleiterin Kathrin Dittmer. Das wollen wir auch online niemandem vorenthalten!
Poesiealbum
In meiner grenzenlosen Ignoranz gegenüber der Jugend weiß ich gar nicht, ob es heute noch Poesiealben gibt. Ich hatte eins. Faktisch konnte man als Mädchen in der Schule gar nicht ohne existieren. Die Jungs hatten keins, denn die Zeiten waren vorbei, da man wie weiland Goethe und Schiller den Freund mit Inbrunst an den Busen drückte oder gar mit Versen bedachte. Warum 200 Jahre nach der Aufklärung Poesie nur etwas für Mädchen sein sollte, weiß ich auch nicht. Aber Busen heißt ja heute auch was anderes als damals. Irgendwas ist da schiefgelaufen.
Dabei waren die meisten Poesiealben überhaupt nicht poetisch und schon gar nicht hingebungsvoll, sondern nur was für Hartgesottene. Botschaften fürs Leben, die sich gewaschen hatten. Todesverachtung, Verzicht, Wahrhaftigkeit. Egal ob Heyse, Zuckmayer oder Brecht, Seneca, Marc Aurel, oder welche Jungs auch immer passende Sentenzen für die Nachwelt hinterlassen hatten: alles mit Wucht und wehendem Bart. Wahrscheinlich könnte man sich manch aufwendige Psychotherapie sparen, wenn man nur sein Poesiealbum einmal kritisch sichten würde. Wenn Muttern irgendwas von einer Schöpferstunde schreibt, die alle Tode gutmacht und Lateinlehrer vom raschen Verrauschen der Jugend raunen, wenn man elf ist, muss einen ja nichts mehr wundern.
Als mir mein Album neulich in die Hände fiel, sah ich, dass in den 70ern offenbar, ganz wie bei Gernhardt, Bernstein & Waechter beschrieben, noch die Reimzwingherren über Deutschland herrschten. Denn bei den weniger wuchtigen Einträgen der Mitschülerinnen wurde gnadenlos gereimt. Meist Endreim-Botschaften der Bescheidenheit. Empfohlen wurde, zu leben wie das Veilchen im Moose und nicht wie die stolze Rose. Und in allen vier Ecken sollte Liebe stecken oder Herzchen oder Blümchen. Wie bei Facebook.
Beliebt war auch die Empfehlung, auf Rosen und immergrüner Au zu wandeln, „bis einer kommt in Hosen und nimmt dich dann zur Frau“. Das „bis“ hatte mich immer stutzig gemacht und mir womöglich ein tiefes Misstrauen gegen die Ehe eingepflanzt. Ich denke aber, dass der Vers mit den vier Ecken, in denen was stecken soll, der schlimmste ist, weil von subtiler Perfidie und Zwänge fördernd. Jedenfalls sind noch heute viele Wohnräume so eingerichtet, dass man sagen könnte: In allen vier Ecken soll'n Möbel stecken.
Aber es gab ja auch noch Carla. Carla liebte Asterix und vielleicht noch mehr Idefix. Sie hat mir beide mit Schwung und viel Mühe für immer im Album hinterlassen und dazu eine wunderbare Variante des bekannten Mops & Paletot-Verses: „Lebe lustig, lebe froh, wie Asterix im Haferstroh.“ Das ist der letzte von nicht allzu vielen Einträgen in meinem Poesiealbum. Wahrscheinlich fühlte ich, dass es nicht mehr besser werden könnte.
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Im Buchhandel erhältlich:
Hasenrein eingemiezelt
Kolumnen von Kathrin Dittmer.
Für alle, die wissen wollen, warum das Gehirn die eigentliche Problemzone ist, was Weltanschauungen und Küchenmaschinen gemeinsam haben und ob Molly der Hund tatsächlich Flöte spielen konnte.
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