Kolumne

Wir mögen Bücher und Papier, deswegen gibt es unser Programm auch als Heft. Und in jedem Heft gibt es ein Editorial der Literaturhausleiterin Kathrin Dittmer. Das wollen wir auch online niemandem vorenthalten!

Editorial Oktober | November 2022

Triumph der Stubenhocker

Nein, ich werde die Hitze im Winter nicht vermissen. Das habe ich mir fest vorgenommen. Noch sitze ich bei 32 Grad und kann mir sowieso nicht vorstellen, jemals wieder heizen zu wollen. Nur die Erfahrung weiß es besser. Die Gegenwart weigert sich, es zu glauben.

Aber da die Erfahrung siegt, denke ich über Energiesparpläne nach. Laut von den Stadtwerken zur Jahresrechnung freundlich mitgelieferter Statistik liege ich allerdings bei Strom- und Gasverbrauch regelmäßig deutlich unter dem Durchschnitt. Ich bin aber gar keine so tolle Sparfüchsin, sondern einfach nur im Schnitt 9 Stunden am Tag gar nicht zu Hause. Laut Finanzminister genau der Typ Mensch, der sich über sein asoziales Gebaren Gedanken machen soll und eine kleinere Wohnung mieten oder gleich im Büro wohnen. Hat der Minister mal darüber nachgedacht, was der Umzug von 42 Prozent aller Haushalte in (noch) kleinere Wohnungen an zusätzlicher Energie und Umweltbelastung kostet? Nö, würd ich jetzt mal sagen. Egal. Ich will sowieso in meiner Wohnung bleiben, in der zugegebenermaßen ein Porsche locker im Wohnzimmer Platz fände – zusätzlich zu den Möbeln. Ätsch. Da ich aber null Interesse an Autos habe und nie eins besessen, kommt es mir auch jetzt nicht ins Haus.

Leider habe ich in besagter schöner, doch einfach ausgestatteter, daher bezahlbarer Mietwohnung eine recht alte Gasheizung und fröstele schnell mal am Abend. Bin also genau der Typ Mensch, von dem der russische Präsident glaubt, er könnte ihn schon mit dem Entzug einer Kuscheldecke schrecken. Er weiß nicht, dass ich mit Dauerbrandöfen, kaltem Bad (Heizstrahler über der Tür!) und einem strengen Regiment, wo erst ab unter 10 Grad Außentemperatur angeheizt wurde und wir Kinder maximal zwei kleine Eimer Kohle pro Ofen in den vierten Stock zum Heizen schleppten, aufgewachsen bin. Allerdings: Besuchte ich später meine Mutter zu Weihnachten, bat ich immer nach spätestens zwei Stunden um eine Strickjacke. Ich habe das strenge Regiment also nicht wirklich konsequent fortgeführt. Aber Heimvorteil: Ich besitze auch selbst eine Strickjacke. Sogar mehrere!

Ja, ich gebe zu: Schöner Wohnen spielt bei mir eine Rolle. An gute Architektur klammere ich mich geradezu. Das Haus ist denkmalgeschützt und zum Glück darf keine Fassadendämmung angebracht werden, in deren häßlichen Schäumen auch noch böse Biozide lauern. Es ist ein solider Bau, der die Wärme gut hält (schwitz!), aber viele alte Fenster nach Osten hat, wo zwar die Sonne aufgeht, aber woher im Winter auch ein sehr kalter Wind wehen kann (bibber!).

Aber da habe ich quasi intuitiv seit Jahren vorgesorgt und selbst von innen isoliert. Ich bin nämlich genau der Typ Mensch, der das gar nicht so seltene Stubenhocker-Gen mit idiopathischer Büchervermehrung hat. Oft wurde ich schon gefragt, warum ich mir die Wände mit so vielen Bücherregalen zustelle. „Die liest Du doch sowieso alle kein zweites Mal“, hieß es immer. Ich wusste meist nicht, was antworten. Irgendwie fühlte ich einfach, es könnte schön sein, in irgendeinem kommenden Moment mal dieses, mal jenes Buch zur Hand zu nehmen und es mit Bedacht wieder ins Regal zurück zu stellen. Oder womöglich erreiche ich sogar das Rentenalter und kann dann in all den Büchern schwelgen und schmökern. Nun aber habe ich sogar ein handfestes Argument, gegen das all die Superpragmatiker, Minister und Kältepräsidenten nichts in der Hand haben: Papier isoliert ganz prima, und ein volles Bücherregal von 18 Zentimetern Tiefe an jeder Außenwand wirklich effektiv.
Also immer schön die Heizung runter und mehr Bücher für alle!
dit

Im Buchhandel erhältlich:

Hasenrein eingemiezelt
Kolumnen von Kathrin Dittmer.
Für alle, die wissen wollen, warum das Gehirn die eigentliche Problemzone ist, was Weltanschauungen und Küchenmaschinen gemeinsam haben und ob Molly der Hund tatsächlich Flöte spielen konnte.
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